Mindestlohn – bisherige Urteile u.a. zu den Themen Kündigung & Anrechnung von Vergütungsbestandteilen

Ein Interview von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck mit Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

Fachanwalt Bredereck: Seit dem 01.01.2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn. Wir haben hierzu ja mehrfach schon Interviews und auch Artikelreihen gemacht. Mittlerweile liegen die ersten Urteile rund um den Mindestlohn auch im Volltext vor. Was gibt es denn da Interessantes? Natürlich – das zur Klarstellung – erhebt diese Revue nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

Fachanwalt Dineiger: Eines der ersten Urteile hier aus unserem Bereich ist ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin mit der Zentralaussage: „Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Geltendmachung des Mindestlohnes unwirksam“. Das erstaunt auf den ersten Blick etwas, weil man es auch für selbst verständlich halten würde. Die Konstellation ist aber tatsächlich eine andere. Im vorliegenden Fall wollte der Arbeitgeber angesichts des herannahenden Mindestlohnes die Arbeitszeit des Arbeitnehmers reduzieren, um Kosten zu sparen. Der Arbeitnehmer lehnte dieses Angebot ab, daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin (Urteil vom 17.04.2015, Az. 28 Ca 2405/15) ist diese Kündigung unwirksam. Das Arbeitsgericht Berlin war nicht der Meinung, dass eine solche Kündigung gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB verstoße. Das Verlangen des Arbeitnehmers, Mindestlohn zu bekommen, sei zulässig; eine Kündigung als Sanktion dann eben maßregelnd und damit unzulässig.

Fachanwalt Bredereck: Das gehört ja dann eher in die Fraktion: „so nicht“. Einer der streitigen Punkte bei Mindestlohn ist ja die Frage, welche Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Gibt es dazu schon Urteile?

Fachanwalt Dineiger: Die gibt es tatsächlich schon. Wir rufen uns in Erinnerung, dass der Gesetzgeber eine Regelung im MiLoG unterlassen hat. Das Argument war, dass es hierzu ja Rechtsprechung des BAG und des EuGH gebe, die dieses Problem schon geklärt hätte. Der Gesetzgeber hat sich also darauf zurückgezogen, auf diese Entscheidungen zu verweisen. Wir haben hierüber zwar schon gesprochen; allerdings sollten wir noch einmal ganz kurz auf die Entscheidung „Isbir“ des EuGH vom 07.11.2013 verweisen, die exakt dieses Problem behandelt. Kurz zusammengefasst hat der EuGH festgestellt, dass auf den Mindestlohn nur solche Vergütungsbestandteile angerechnet werden dürfen, die das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen Seite und der ihn hierfür erbrachten Gegenleistung auf der anderen Seite nicht verändern.

Fachanwalt Bredereck: Und das setzen die Gerichte jetzt auch tatsächlich so um, wie es gedacht war? Oder gibt es da Abweichungen?

Fachanwalt Dineiger: Das interessante ist, dass es da sehr wohl Abweichungen gibt. Eigentlich ist die Rechtsprechung des EuGH ziemlich klar verständlich. Die Arbeitsgerichte tun sich aber offensichtlich noch ziemlich schwer, exakt zu definieren, was nun anrechenbarer Gehaltsbestandteil ist und was nicht.

Fachanwalt Bredereck: Wir haben hier zwei Entscheidungen. Widersprechen sich diese Entscheidungen jetzt tatsächlich oder sind das anders gelagerte Sachverhalte?

Fachanwalt Dineiger: Im Moment haben wir zwei Entscheidungen im Auge, die eine ist ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom April 2015, die andere ist ein Urteil vom Arbeitsgericht Düsseldorf, gleichfalls von Ende April 2015. Tatsächlich betreffen beide Urteile Zusatzentgeltbestandteile, nämlich einen Leistungsbonus. Das interessante ist, dass nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin ein solcher Leistungsbonus nicht auf den Mindestlohn anrechenbar ist, nach Auffassung des Arbeitsgerichts Düsseldorf aber schon.

Fachanwalt Bredereck: Also klare Fehlurteile? Die Frage ist nur welches?

Fachanwalt Dineiger: Ganz so einfach ist es nicht. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann ein Leistungsbonus dann nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, wenn der Leistungsbonus tatsächlich zum inneren Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, also Arbeit und Entlohnung, steht. Ein Bonus ist in aller Regel in einem Arbeitsvertrag als freiwillige Leistung definiert. Das Problem ist – auch hierüber haben wir schon Beiträge gemacht – dass diese freiwillige Leistung im Laufe der Zeit dann gar nicht mehr so freiwillig ist, also der Arbeitnehmer einen Anspruch erwirbt. In dem Moment, in dem auf den Bonus aber ein Anspruch besteht, wird er nach Auffassung des BAG in der bisherigen Rechtsprechung zum Entgeltbestandteil. Er ist also Teil der Gegenleistung für die erbrachte Arbeit. Wenn er das aber ist, dann kann nach der Rechtsprechung des EuGH eine Anrechnung nicht erfolgen.

Fachanwalt Bredereck: Also kein Widerspruch, sondern nur einmal ein freiwilliger und das andere Mal ein nicht mehr freiwilliger Bonus?

Fachanwalt Dineiger: Das könnte man meinen. Interessanterweise definiert das aber das Arbeitsgericht Düsseldorf gar nicht so. Das Arbeitsgericht Düsseldorf machte einen Schlenker und stellt darauf ab, dass der Mindestlohnanspruch ein Mindestlohnanspruch, nicht aber ein Aufstockungsanspruch sei. Wenn also die Grundvergütung angehoben werden muss, um Mindestlohn zu erreichen, dann kann ein bisheriger Bonus angerechnet werden, da kein Anspruch auf mehr als Mindestlohn bestünde. In diesem Punkt unterscheidet sich das Urteil doch sehr deutlich vom Urteil des Arbeitsgerichts Berlin. Die Urteile weichen also doch voneinander ab.

Fachanwalt Bredereck: Da gibt es also doch noch erhebliche Unordnung. Wir warten doch ab, ob diese Urteile auch in der Berufung Bestand haben.

07.07.2015

Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.

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