KWA Symposium 2018: Pflege außer Kontrolle?

Für konträre Standpunkte stehen: Dr. Bernhard Opolony, Ingeborg Germann, Reiner Kasperbauer, Prof. Dr. Thomas Klie und Bianca Jendrzej.

KWA Symposium 2018: Pflege außer Kontrolle?

V. l. Dr. Bernhard Opolony, Dr. Thomas Klie, Ingeborg Germann, Reiner Kasperbauer, Dr. Stefan Arend

Gerade dann, wenn kein Pflegeskandal Schlagzeilen macht, muss über Pflege geredet werden. Der Koalitionsvertrag verspricht Entlastung und ein Sofortprogramm. Noch ist er nicht in trockenen Tüchern. Beim diesjährigen KWA Symposium im KWA Georg-Brauchle-Haus wagte man unter der Überschrift „Pflege außer Kontrolle?“ eine Bestandsaufnahme und versuchte, zu skizzieren, wie Kontrollen in der Pflege künftig aussehen könnten.

„Auf Pflege Angewiesene müssen auf Pflegequalität vertrauen können!“ Mit dieser klaren Ansage positionierte sich KWA Vorstand Dr. Stefan Arend. Beleuchtet wurde das Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Vertrauen. Dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) und Heimaufsicht (FQA) nach völlig unterschiedlichen Kriterien prüfen, führt bei Mitarbeitern zu Verunsicherung und Unverständnis. Der KWA Vorstand sieht die Pflege unter zunehmendem Zwang, permanent Rechenschaft ablegen zu müssen. Das bindet Zeit, die an anderer Stelle für Zuwendung fehlt.

Der stellvertretende Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege Peter Steiert sieht die staatliche Verantwortung für Pflegebedürftige in Artikel 2 des Grundgesetzes begründet: Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Und: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der aktuelle MDS-Pflege-Qualitätsbericht des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV) zeigt laut Steiert einerseits Verbesserungen, so zum Beispiel seien seltener freiheitsentziehende Maßnahmen festgestellt worden. Andererseits gebe es noch einen Nachholbedarf in den Bereichen Wundversorgung und Schmerzmanagement.

Keinerlei Kontrollen der häuslichen Pflege versus penible Kontrollen in der stationären Pflege

Die Pflegeversicherung ist eine Teilleistungsversicherung. Das zwingt laut Prof. Dr. Thomas Klie, Institutsleiter von agp Sozialforschung in Freiburg, so manche Angehörige, die Erwerbstätigkeit aufzugeben oder Hilfskräfte aus Osteuropa zu beschäftigen – die zum Teil ohne jegliche Qualifikation nicht nur den Haushalt führen, sondern auch pflegen. Was in keinem GKV-Bericht steht: „20 Prozent der Menschen, die in der eigenen Häuslichkeit gepflegt werden, sind zeitweise fixiert“, so Klie. „Da schauen wir weg.“ Der regulären Pflege gelte hingegen die volle Aufmerksamkeit.

Dass wir weiterhin die 50-%-Fachkraftquote prüfen und bei Nichterreichen Abteilungen schließen, sei nicht sonderlich intelligent. Klie ist überzeugt: „Wenn viele Ehrenamtliche und Angehörige in Institutionen ein- und ausgehen, brauchen wir nicht viel Kontrolle.“ Durch Anreizsysteme könne man das fördern. Die Kunst von Pflegenden und Angehörigen sei: durch Würde und Zuwendung dafür zu sorgen, dass es keine Demütigung gibt. Pflege und Vertrauen gehören für Klie in hohem Maß zusammen.

Anlassprüfung statt Regelprüfung in Rheinland-Pfalz

Ingeborg Germann, Leiterin des Referats 646 am Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demographie in Rheinland-Pfalz, beschrieb den neuen Weg ihres Landes. Ein Mal pro Jahr wird mit Einrichtungen ein Beratungstermin vereinbart. Unangemeldete „anlassbezogene Prüfungen“ gibt es bei Hinweisen oder Beschwerden nach wie vor, und auch dann, wenn „die Ampel auf Rot“ steht, bei nicht qualitätsfähigen Einrichtungen. Kriterien für den Grad der Qualitätsfähigkeit sind: Vertrauenswürdigkeit, funktionierendes Qualitätsmanagement, soziale „Kontrolle“, externe Qualitätssicherung, Kontinuität der Zusammenarbeit und Offenheit der Einrichtung.

Unter dem Begriff „Eigenverantwortung“ der Einrichtungen in Bezug auf den Personaleinsatz verstehe man, dass der vereinbarte Personalschlüssel übers Jahr eingehalten werde. Nichterreichen muss gemeldet werden, dann könne auf der Basis eines Konzepts zum Personalmix auch eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden. Man setzt am rheinland-pfälzischen Ministerium auf ein „Grundprinzip des Vertrauens als Handlungs- und Verhandlungsbasis“ und verzichtet auf undifferenzierte Regelprüfungen als Kontrollinstrument.

Kontrolle von Einrichtungen entspricht laut Dr. Bernhard Opolony dem Willen des Volkes

Dr. Bernhard Opolony, Leiter der Abteilung Pflege und Prävention am Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, stellte in Aussicht, dass das 10 Jahre alte Pflege- und Wohnqualitätsgesetz in den nächsten beiden Jahren reformiert wird. Vertrauen und Kontrolle müssen aus der Sicht von Opolony nicht gegeneinandergestellt werden. „Gesetzliche Regulierungen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern Wille des Volkes.“ Wer von gesetzlichen Vorgaben abweichen möchte, solle ein Konzept vorlegen. Aufgrund des Rechtsverständnisses und der Gesetzeslage sei es nicht denkbar, auf staatliche Prüfungen komplett zu verzichten.

Die Pflegenoten waren aus Opolonys Sicht schlecht gemacht. Im Hinblick auf Pflegebedürftige müsse das Ziel sein, zu einer personenzentrierten Sicht zu kommen. Man müsse schauen, wo die jeweilige Person geschützt werden muss. „Vertrauen ist nicht der Gegensatz zu Kontrolle. Vertrauen ist der Gegensatz zu Misstrauen. Vertrauen entsteht dann, wenn ein gemeinsames Grundverständnis und eine gemeinsame Sprache gefunden werden“, so Opolony.

Ziel des MDK: Für den Laien verständliche Bewertungen

Der Leiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) Reiner Kasperbauer möchte, dass der MDK künftig gemeinsam mit der staatlichen Fachstelle (FQA) Qualitätsprobleme identifiziert und dann auch gemeinsam in die jeweilige Einrichtung geht. Bei Prüfberichten stelle sich die Frage: Kann die der Laie lesen? „Wir müssen es schaffen, dem Laien künftig verständliche Bewertungen vorzulegen.“

Das zweite Pflegestärkungsgesetz sieht die Erarbeitung eines neuen Prüfkonzepts unter wissenschaftlicher Begleitung vor. Zunächst sollen Ergebnisindikatoren gefunden werden, danach sind Richtlinien auszuarbeiten. Die Frage der Bewohnerbeteiligung sei jedoch noch nicht gelöst. Die Personalbemessung werde ein ganz großes Thema sein. Reiner Kasperbauer erläuterte, wo man diesbezüglich steht: In Zusammenarbeit mit der Uni Bremen sollen 45 vollstationäre und 15 teilstationäre Einrichtungen untersucht werden. 2.500 Bewohner sollen in die Stichprobe kommen. Auf dieser Basis wird exemplarisch eine bewohnerbezogene Pflegeplanung erfolgen, mit 3 Schichten und Wochenende. „Das muss Ende des Jahres auf den Tisch.“

Ziel von KWA: Gutes Leben auch bei Pflegebedarf

Bianca Jendrzej leitet bei KWA die Abteilung Qualität, Prozesse, Strukturen. „Wir von KWA sehen es so: Der MDK definiert Mindeststandards. Auf Basis der Frage „Was ist gutes Leben?“ versuchen wir, bei unserer internen Qualitätssicherung von der intuitiven Beurteilung zu Qualitätsindikatoren zu kommen.“ Fragebögen zu verschiedenen Bereichen des Lebens werden in Bezug zueinander gestellt.

Erfahrungen der KWA-Pflegeexpertin in Bezug auf Prüfungen durch den MDK und die FQA: Auch wenn Prüfende in der Regel freundlich auftreten: Immer wieder werden Prüfungen von Emotionen begleitet und dann gelinge es nicht mehr, auf die Ebene einer nüchternen Analyse zu kommen. Wenn beispielsweise ein Bewohner weint – vielleicht nur, weil er mit der Situation überfordert ist – werten Prüfende das als Indikator dafür, dass in der Pflege etwas nicht stimmt. Eine grundsätzliche Schwierigkeit bestehe darin, dass bei kurzfristig angekündigten Prüfungen oft nur 1 Person zur Beantwortung der Fragen mehrerer Prüfenden freigestellt werden kann. Auch nächtliche Prüfungen sieht sie kritisch. Das größte Problem sei jedoch die Fachkraftquote. Die Bewertung von Qualifikationen muss aus KWA-Sicht überdacht werden, sodass der Kreis der Personen, die als Fachkräfte gelten, erweitert wird.

KWA Kuratorium Wohnen im Alter ist ein gemeinnütziges Sozialunternehmen im Bereich der Altenhilfe und Altenpflege. Als Träger von 14 Altenwohnstiften, zwei Pflegestiften, einer Klinik für Neurologische und Geriatrische Rehabilitation sowie einem Bildungszentrum mit staatlich anerkannten Berufsfach- und Fachschulen ist KWA in mehreren Bundesländern vertreten. KWA ist Mitglied im Paritätischen. Durch Publikationen, Foren und Symposien zu aktuellen Fachthemen beteiligt sich KWA an der öffentlichen Diskussion. Mit wissenschaftlich fundierten Konzepten entwickelt KWA sich nachhaltig weiter.

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