Fehlende Durchsetzbarkeit einer Eigenbedarfskündigung bei schwerer Behinderung des Mieter-Kindes

Ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Berlin und Essen, zum Urteil des Landgericht Lübecks, LG Lübeck, Urteil vom 21. November 2014 – 1 S 43/14.

Die Ausgangslage:

Soweit der Vermieter die Formalitäten der Kündigung einhält, der Mietvertrag die Zulässigkeit einer Eigenbedarfskündigung nicht einschränkt, der Eigenbedarf tatsächlich besteht und keine Sperrfrist greift, kann der Mieter sich nur sehr eingeschränkt gegen eine Eigenbedarfskündigung zur Wehr setzen. Der so genannte Härteeinwand des Mieters geht in der Praxis allzu häufig ins Leere.

Der rechtliche Hintergrund:

Nach § 574 Abs.1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Unter einer „Härte“ sind alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können. Erforderlich ist, dass diese Nachteile mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
Krankheitsbedingte Härteeinwände haben in der Regel nur zur Folge, dass das Mietverhältnis auf befristete Zeit fortgesetzt wird. Anders ist dies nur, wenn sich auf absehbare Zeit an der Krankheit und die damit verbundenen Einschränkungen nichts ändern wird.

Der Fall:

In dem vom Landgericht zu entscheidenden Fall hatte der Mieter die besondere Härte damit begründet, dass sein Kind eine mehrfache körperliche und geistige Behinderung habe und im Falle eines Umzuges mit einer signifikanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kindes zu rechnen sei. Daraus begründe sich eine Härte i. S. d. § 574 Abs. 1 BGB.

Die aktuelle Entscheidung des Landgerichts Lübeck:

Das Landgericht Lübeck hat zunächst ein Sachverständigengutachten zu den wahrscheinlichen gesundheitlichen Folgen eines Umzugs eingeholt und führt dazu aus:

„Wenngleich nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht endgültig klar wird, ob ein Wohnungswechsel für den Sohn der Beklagten eine unmittelbare Lebensbedrohung darstellen würde, da die Vorgänge für die stringente Annahme eines Ursachenzusammenhangs ex post zu komplex sind, so ergibt sich hieraus jedoch eindeutig, dass mit Sicherheit oder jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung eintreten wird, die bis hin zu einem Krampfanfall, der seinerseits wiederum lebensbedrohlich sein kann, führen kann. Die Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch den Wohnungswechsel wird weiter mit hoher Wahrscheinlichkeit sein Sterblichkeitsrisiko erhöhen. Hinter diesem durch Art. 13 GG sowie durch Art. 2 GG (Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit) geschützten Bestandsinteresse der Beklagten müssen die durch Art. 14 GG geschützten Erlangungsinteressen der Kläger, die in ihrem Kündigungsschreiben angeführt werden, zurücktreten.“

Die Räumungsklage des Vermieters wurde abgewiesen.

Fazit:

Mit Sicherheit ein besonders krasser Fall, der nicht ohne Weiteres übertragbar ist. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die in diesem Bereich sehr eigentumsfreundlich und damit vermieterfreundlich ausfällt, hat das Landgericht Lübeck den erhöhten Begründungsbedarf für eine mieterfreundliche Entscheidung erkannt und setzt sich intensiv mit den in Rede stehenden Interessen des Vermieters und des Mieters auseinander.

Fachanwaltstipp Vermieter:

Die Entscheidung zeigt, wie wichtig ein sorgfältig verfasstes Kündigungsschreiben ist. Hätte der Vermieter hier nicht ausreichend Gründe auf seiner Seite vorgetragen, wäre die Begründung zugunsten des Mieters für das Landgericht Lübeck deutlich einfacher gewesen.

Fachanwaltstipp Mieter:

Kein Grund zur Freude für Mieter. Es bleibt weiter bei der grundsätzlich restriktiven Rechtsprechung zum Härteeinwand. Gutachterlich bestätigte, nicht ausgeschlossene Lebensgefahr eines Haushaltsangehörigen für den Fall des Umzugs wird eher selten vorkommen, das Urteil daher ein Einzelfall bleiben. In der Praxis erlebe ich äußerst selten, dass eine Eigenbedarfskündigung über den Härtefalleinwand gekippt wird. Nichtsdestotrotz sollte bei der Formulierung des Widerspruchs sorgfältig gearbeitet werden. Sollte in den Ballungszentren Wohnungsnot entstehen, wird der Härtefalleinwand wegen des Mangels an Ersatzwohnraum künftig wieder an Bedeutung gewinnen.

16.3.2015

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