Die neuen Angstbürger
Politik, Medien, Lebensmittel- oder Gesundheitsindustrie: kein Ort ohne Angst – nirgends
von Ansgar Lange +++ Angst ist ein Grundgefühl des Menschen. Sie erfüllt wichtige Funktionen und kann uns in Gefahrensituationen schützen, indem sie als eine Art Frühwarnsystem fungiert. Angst hilft uns, unnötigen Gefahren aus dem Wege zu gehen. Doch wenn die Angst überhandnimmt und über unser Leben bestimmt, dann spricht man auch von einer Angststörung.
Bezogen auf die politische Situation in Deutschland kann man feststellen: Der Puls dieses Landes rast derzeit. Kalter Angstschweiß klebt auf der Stirn dieses Landes. Nicht zuletzt die Wahlerfolge einer vermeintlichen Alternative für Deutschland in drei Bundesländern belegen dies. Und so haben wir es weniger mit besorgten Bürgern oder mit Wutbürgern zu tun, sondern mit Angstbürgern.
Manchmal haben die Menschen Angst vor Phänomenen, die sie aus eigener Anschauung kaum kennen. So liegt der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in Sachsen-Anhalt bei unter drei Prozent. Trotzdem oder gerade deshalb, weil Ängste oft irrational sind, hat die Alternative für Deutschland (AfD), die nicht unbedingt als ausländeraffin gilt, in diesem Bundesland 15 Direktmandate gewonnen und zieht als zweitstärkste Kraft in den Landtag ein. Laut FAZ http://www.faz.net bedeutet das 25-Prozent-Ergebnis für die AfD, dass jedes zehnte Parteimitglied es in den Magdeburger Landtag geschafft hat.
Angst als Erfolgsmodell
Wer Ängste mobilisiert, kann also durchaus politisch erfolgreich sein. Dies gilt für rechte Parteien genauso wie für linke, die zum Beispiel Ängste vor sozialem Abstieg schüren. Auch zahlreiche Medien – vor allem im Internet – leben von dem Schüren von Ängsten. Dort wimmelt es dann von Verschwörungstheorien, es droht die Apokalypse oder zumindest der Untergang des Abendlandes, die EU steht vor dem Zerfall, der Dritte Weltkrieg und die Dschihadisten stehen vor der Tür. Natürlich sind manche Sorgen und Ängste berechtigt. Doch wenn sie – gerade auch von den Medien – überzeichnet und übertrieben werden, dann entsteht eine kollektive Angstneurose.
Auch die vermeintlich so nüchterne Bundeskanzlerin versteht sich darauf, den Menschen Angst zu machen. Dabei wäre es doch gerade ihre Aufgabe, pragmatisch und unaufgeregt zu regieren und den Bürgern vielleicht sogar Orientierung zu geben. In ihrer Regierungserklärung vom 19. Mai 2010 bezeichnete Angela Merkel die Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro als „alternativlos“. „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“: Ganz großes Angstkino der Kanzlerin! Ob sie durch den Appell an die Emotionen der Sache einen Gefallen getan hat, steht auf einem anderen Blatt Papier.
Auch Altkanzler Helmut Kohl verstand es, auf der Klaviatur der Ängste zu spielen. Europa sei eine Frage von Krieg und Frieden und unser Schicksal. Frieden und Freiheit hingen von einem geeinten Europa ab. Wer solche bombastischen Worte findet, darf sich nicht wundern, wenn die Bürger angesichts der kleinkrämerischen Diskussionen innerhalb der EU in der Flüchtlingsfrage in Panik geraten.
Angst als Big Business
Doch auch in der Wirtschaft ist Angst längst ein Thema. „Angst als Big Business“ nennt dies der Personalexperte Michael Zondler. Beispielsweise die Autoindustrie nutze bewusst, aber subtil die emotionale Ansprache und gewinne Kunden durch den Verweis auf immer neue Sicherheitssysteme. Am Ende ist der Mensch das einzige Sicherheitsrisiko. Das selbstfahrende Auto bleibt dann unausweichlich. Medien, die Lebensmittelindustrie, die Pharmaindustrie und Ärzte (Vorsorge als riesiges Geschäftsmodell), Versicherer, Berater, Psychologen, Banken, Parteien, besorgte Eltern etc.: kein Ort ohne Angst, nirgends.
„Wir leben leider mit deutlich mehr Angst- als Mutmachern“, sagt Zondler, dessen Beratungsunternehmen centomo http://www.centomo.de von Ludwigsburg aus operiert. „Auch wenn die Wirtschaft häufig selber mit Ängsten spielt, ist Angst letztlich Gift für sie. Nehmen wir das Beispiel Zuwanderung. Jeder weiß, dass unser Land auf lange Sicht auf die Zuwanderung qualifizierter Ausländer angewiesen ist. Doch zurzeit legt sich die Flüchtlingsdiskussion wie Mehltau über das Land. Viele trauen sich daher nicht mehr, einer modernen Zuwanderungsregelung das Wort zu reden. In unserem reichen Bundesland Baden-Württemberg liegt die AfD im ersten Anlauf sogar vor der SPD. Vielleicht schafft es nun ein modernes Zukunftsbündnis aus Grün und Schwarz, den Menschen die Ängste zu nehmen und wieder Lust auf Zukunft zu machen.“
Ob Angst etwas typisch Deutsches ist – so gibt es ja sogar den Begriff der „German Angst“ -, ist zweifelhaft. Starke Männer wie Erdogan, Putin oder Trump bedienen das Sicherheitsbedürfnis ihrer Wähler und schüren Panik, wenn es ihnen politisch in den Kram passt. Und beim täglichen Nachrichtenkonsum drängt sich der Eindruck auf, dass wir in recht hysterischen Zeiten leben. Angstbürger sind die neuen Weltbürger – sie sind überall zuhause.
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