Bundesarbeitsgericht zur Anhörung des Betriebsrats bei Kündigungen – was gilt nun?
Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, im Interview mit Volker Dineiger, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin und Essen.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einem Urteil aus dem letzten Jahr (16.07.2015, 2 AZR 15/15) zur Anhörung des Betriebsrats bei Kündigungen geäußert und damit einige Diskussionen zu dem Thema ausgelöst. Wie ist die Entscheidung zu beurteilen?
Fachanwalt Bredereck: Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Urteil angeblich den Grundsatz der subjektiven Determiniertheit aufgegeben. Ist das so und was bedeutet dieser Grundsatz überhaupt?
Fachanwalt Dineiger: Nach dem Grundsatz der subjektiven Determiniertheit hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat alle für ihn maßgeblichen Gründe für eine Kündigung mitzuteilen. Ausgangspunkt ist § 102 BetrVG, der eine Anhörung des Betriebsrats verlangt, bevor der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer kündigt. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat über alle Beweggründe und Tatsachen informieren, damit die Anhörung vollständig ist. Da es dabei auf seine Sicht ankommt, spricht man vom Grundsatz der subjektiven Determiniertheit.
Fachanwalt Bredereck: Welche Folgen hat es, wenn der Arbeitgeber sich nicht an diese Vorgaben hält?
Fachanwalt Dineiger: Da muss man nur auf eine lange Reihe von Gerichtsverfahren schauen, da wird es für den Arbeitgeber richtig peinlich.
Fachanwalt Bredereck: Stimmt. Auch wenn der Betriebsrat der Kündigung nicht zustimmen muss, muss doch die Anhörung vollständig sein, sonst ist die Kündigung unwirksam, eigentlich sozial nicht gerechtfertigt.
Fachanwalt Dineiger: Das bleibt auch so – nach wie vor muss der Arbeitgeber hier aufpassen.
Fachanwalt Bredereck: Was hat sich denn genau geändert? In der Fachliteratur liest man jetzt, es gebe die objektive Determiniertheit. Hat sich die Rechtsprechung denn vollständig geändert?
Fachanwalt Dineiger: Ja und nein. Bisher war es schon so, dass die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß war, wenn der Arbeitgeber bewusst Fakten verschwiegen hat, die zugunsten des Arbeitnehmers gesprochen hätten oder wenn er den Sachverhalt aus seiner eigenen Sicht unrichtig dargestellt hat. Da gab es auch schon objektive Kriterien.
Fachanwalt Bredereck: Was ist also neu?
Fachanwalt Dineiger: Neu ist, dass es nicht mehr ordnungsgemäß ist, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für den Arbeitnehmer ungünstige Tatsachen mitteilt, von denen er es selbst für möglich hält, dass sie nicht zutreffend sind. Der Arbeitgeber informiert zwar hier den Betriebsrat nicht bewusst falsch, ist aber auch nicht mehr gutgläubig. Er nimmt es nämlich in Kauf, den Betriebsrat falsch zu informieren.
Fachanwalt Bredereck: Das ist also jetzt objektiv, ist das alles?
Fachanwalt Dineiger: Ein zweiter Faktor kommt dazu: Der Arbeitgeber darf auch keine Fakten verschweigen, die für den Arbeitnehmer günstig sind, auch wenn sie seinen Kündigungsentschluss gar nicht beeinflusst haben. Das ist echt neu. Das ist ein gänzlich objektiver Maßstab: Das BAG stellt darauf ab, dass ansonsten Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würden.
Fachanwalt Bredereck: Also doch ein Ende der subjektiven Determiniertheit?
Fachanwalt Dineiger: Nein, ich würde es so bezeichnen: weiter subjektive Determiniertheit mit objektiven Grenzen oder auch objektiven Leitplanken. Nennen wir es also Leitplankenrechtsprechung; nicht vollständig neu, aber neu ergänzt.
16.02.2016
Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck und Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Dineiger, Berlin und Essen.
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