Dynamik einer vertraglichen Bezugnahmeklausel
Dynamik einer vertraglichen Bezugnahmeklausel nach Betriebsübergang.
Verfasserin: Rechtsanwältin Ingrid Heinlein, Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf
Der Erwerber eines Betriebsteils ist nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB an eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die auf Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Bezug nimmt, vertraglich so gebunden, als habe er diese Vertragsabrede selbst mit dem Arbeitnehmer getroffen. Dem EuGH wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob dieser Auslegung unionsrechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
(Leitsatz der Bearbeiterin)
BAG, Beschluss vom 17.6.2015 – 4 AZR 61/14 – Pressemitteilung
Der Kläger ist in einem Krankenhaus beschäftigt, dessen Träger ursprünglich ein Landkreis war. Dieser war Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV). Im Arbeitsvertrag wurde vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen richtet.
Nach Privatisierung des Krankenhauses wurde der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, an einen nicht tarifgebundenen Erwerber veräußert. Dabei wurde in einem Personalüberleitungsvertrag zwischen dem bisherigen Arbeitgeber, Betriebsrat und Erwerber vereinbart, dass für die Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber übergehen, weiterhin der BAT und der BMT-G II in der jeweiligen Fassung einschließlich der ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge gelten.
Am 1.10.2005 sind der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD-VKA) und der dazu gehörige Überleitungstarifvertrag (TVÜ-VKA) in Kraft getreten. Diese Tarifverträge wurden vom neuen Arbeitgeber des Klägers nicht angewendet. Im Jahr 2008 ging das Arbeitsverhältnis im Wege eines erneuten Betriebsteilübergangs auf eine andere Gesellschaft des Konzerns – die Beklagte – über, die den TVöD und TVÜ ebenfalls nicht anwendete.
Die Klage, mit der der Kläger festgestellt wissen will, dass auf das Arbeitsverhältnis seit dem 1.10.2005 der TVöD – VKA und der TVÜ-VKA Anwendung finden, hatte vor dem Arbeitsgericht Offenbach und dem Hessischen LAG Erfolg. Das BAG hat nun den EuGH angerufen, um zu klären, ob seine Rechtsprechung zur unveränderten Geltung kleiner dynamischer Bezugnahmeklauseln nach einem Betriebs- oder Betriebsteilübergang mit Art. 3 der Betriebsübergangsrichtlinie und der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar ist.
Eine normative Geltung des TVöD und TVÜ nach den Bestimmungen des TVG kommt hier nicht in Betracht, da die Beklagte nicht Mitglied des KAV ist. Erfolg vor dem LAG hatte die Klage aber auch nicht deshalb, weil bei der Einstellung des Klägers vereinbart wurde, dass der BMT-G II in seiner jeweiligen Fassung und ersetzende Tarifverträge Anwendung finden. Zwar handelt es sich beim TVöD und TVÜ um den BMT-G II ersetzende Tarifverträge. Da § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt, dass der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils in die (arbeitsvertraglichen) Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt, sollte man auch meinen, dass die Dynamik der Bezugnahmeklausel den Erwerber bindet – unabhängig davon, ob er tarifgebunden ist oder nicht. Das sieht das BAG inzwischen auch so. Nachdem es jedoch lange Zeit anderer Auffassung in den Fällen war, in denen ein tarifgebundener Arbeitgeber die Bezugnahmeklausel vereinbart hatte, gewährt es nun der Arbeitgeberseite Vertrauensschutz, wenn die Bezugnahmeklausel vor dem 1.1.2002 vereinbart wurde.
Die Klage hätte daher vor dem LAG keinen Erfolg gehabt, wenn nicht im Jahr 1997 mit dem nicht tarifgebundenen Erwerber der Personalüberleitungsvertrag als Vertrag zu Gunsten Dritter mit einer inhaltlich übereinstimmenden Bezugnahmeklausel abgeschlossen worden wäre. Hat ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer vereinbart, dass Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung finden, hat das BAG schon immer angenommen, dass der Betriebs- oder Betriebsteilerwerber nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB an die Dynamik der Bezugnahmeklausel gebunden bleibt.
Maßgeblich dafür, dass das BAG jetzt beschlossen hat, das Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH einzuleiten, sind die EuGH-Urteile Werhof vom 9.3.2006 und Alemo Herron vom 18.7.2013 (vgl. unser Mandenteninfo Februar 2014), die in Deutschland Erstaunen und Verwirrung hervorgerufen haben.
In diesen Entscheidungen hat der EuGH die Auffassung vertreten, dass die Grundrechte des nicht tarifgebundenen Erwerbers dem Übergang der Dynamik einer Bezugnahmeklausel entgegenstehen. Das BAG ist zur Anrufung des EuGH verpflichtet, wenn unklar ist, wie unionsrechtliche Bestimmungen, die für die gerichtliche Entscheidung relevant sind, auszulegen sind (Art. 267 AEUV).
Fazit:
Der Rechtsstreit ist zum einen von großer Bedeutung, weil er zeigt, wie wichtig Personalüberleitungsverträge mit dem Betriebs- oder Betriebsteilerwerber für die Sicherung der Ansprüche der Beschäftigten sind. Zum anderen bleibt zu hoffen, dass der EuGH die bisher eingeschlagene Richtung verlässt und erkennt, dass arbeitsvertragliche dynamische Bezugnahmeklauseln vertragliche Ansprüche begründen, an die der Erwerber nach Art. 3 Abs. 1 der Betriebsübergangsrichtlinie in vollem Umfang gebunden ist. Die Unterrichtung von Arbeitnehmern gemäß § 613a Abs. 5 BGB wird dadurch nicht einfacher für die Arbeitgeber: die rechtlichen Folgen eines Betriebsübergangs sind komplizierter denn je. Es lohnt sich deshalb, Unterrichtungsschreiben sorgfältig darauf zu untersuchen, ob sie die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 BGB tatsächlich in Gang gesetzt haben.
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