Zunehmende Zwangsräumungen in Berlin sind keine Überraschung
Ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Berlin und Essen.
Berichten des Tagesspiegel vom 18.4.2015 zufolge, der sich auf eine Studie des Instituts für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität beruft, steigt die Anzahl an Zwangsräumungen in Berlin an. Die Autoren wörtlich: „Kündigungen, Räumungsklagen und Zwangsräumungen haben sich zu weit verbreiteten Instrumenten der Ertragssteigerung entwickelt“.
Vermehrte Zwangsräumungen nur kleiner Teil des Problems:
Ein Hauptgrund für die steigenden Zwangsräumungen sei es, dass Mieter die Miete nicht mehr zahlen könnten. Ich bin der Meinung, dass die vermehrte Zahl an Zwangsräumungen nur ein kleiner Teil des Problems ist. Zunächst zur Information: Ich vertrete beim Thema Kündigung von Mietverhältnisses sowohl Mieter als auch Vermieter in einem ausgewogenen Verhältnis. Mir liegt eine ideologische Betrachtung des Problems fern. Zu klären ist meiner Ansicht nach eine gesellschaftliche Frage: sollen Mietverhältnisse gewünscht und privilegiert sein oder soll es sich dabei nur um einer unter vielen gleichberechtigten Möglichkeiten handeln, Immobilien zu nutzen. Schaut man sich an wie das Mietverhältnis im Gesetz geschützt wird, legt dies zumindest den Schluss nahe, dass es sich um ein privilegiertes Modell handeln soll. Politik und Rechtsprechung scheinen dies in letzter Zeit nicht zu berücksichtigen.
„Freiwilliger“ Verzicht auf die Wohnung als Folge einer Kündigung des Vermieters
Die Wohnung wird von zahlreichen Mietern nach einer Räumungsklage des Vermieters freiwillig verlassen. Noch mehr Mieter ziehen bereits nach der Kündigung freiwillig aus. Interessant und noch aufschlussreicher wäre daher die Zahl an (aus Sicht des Vermieters) erfolgreichen Kündigungen in Berlin. Damit sind die Fälle gemeint, in denen der Vermieter kündigt und der Mieter letztlich die Wohnung verlässt. Die entsprechende Zahl gäbe tatsächlich Aufschluss darüber, wie viele Mieter aus ihren Wohnungen gedrängt werden. Die Anzahl an Mieter, die sich die Wohnung schlicht nicht mehr leisten können, dürfte demgegenüber relativ unverändert sein. Klar ist aber, dass die Mieter nicht so sehr steigen, dass sich damit die zunehmende Anzahl der Vertragsbeendigungen erklären ließen. Zugenommen haben meiner Beobachtung nach in Berlin speziell zwei Arten von Kündigungen:
Zunahme von Eigenbedarfskündigung:
Wohnraum wird zunehmend in Eigentumswohnungen umgewandelt. In diesen Fällen greift eine Sperrfrist von 10 Jahren (einheitlich in Berlin), in deinen keine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen werden darf. Vermieter ignorieren diese aber häufig oder Mieter kennen sie nicht, zudem bieten Vermieter oftmals auch Abfindungszahlungen an. Außerdem ist bei zahlreichen Eigentumswohnungen die Sperrfrist von zehn Jahren nach der Umwandlung und Veräußerung auch schon abgelaufen.
Zunahme von Kündigungen wegen Zahlungsrückstands oder verspäteter Mietzahlungen
Daneben haben die Kündigungen wegen Zahlungsrückstand oder verspäteter Mietzahlungen meiner Beobachtung nach ebenfalls stark zugenommen. Ich glaube nicht dass das daran liegt, dass immer mehr Mieter ihre Miete nicht oder unpünktlich zahlen. Es sind vielmehr die Vermieter, die diese Kündigungsgründe nutzen, um die Mieter loszuwerden.
Oftmals wirtschaftlicher Hintergrund der Kündigungen:
Meist sind wirtschaftliche Erwägungen des Vermieters in Gebieten mit stark steigenden Mietpreisen der Hintergrund von Kündigungen. Dadurch, dass Mieterhöhungen im laufenden Mietverhältnis nur sehr eingeschränkt möglich sind, besteht die einzige Möglichkeit für Vermieter, die Miete zu erhöhen, darin, den Mieter loszuwerden und einen neuen Vertrag abzuschließen. Bislang waren Vermieter hier bei Neuabschluss in der Höhe des verlangten Mietzinses frei bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit. Das könnte sich durch die Mietpreisbremse ändern. Ein weiterer wirtschaftlich motivierter Grund leitet sich aus den beschriebenen Umständen ab. Wohnraum lässt sich besser ohne Mieter verkaufen. Fazit: es ist ein klar erklärbares Phänomen, das bei der derzeitigen Rechtslage die Kündigungsmotivation von Vermietern zunimmt. Das ändert sich erst wieder dann, wenn der Immobilienmarkt deutlich abkühlt. Zumindest für Berlin ist dies nicht in Sicht.
Guter gesetzlicher Schutz vor Mieterhöhung im Gegensatz zu schlechtem Schutz vor Kündigung
Befeuert wird das Problem dadurch, dass der gute gesetzliche Schutz vor allzu drastischen Mieterhöhungen, einem sehr schlechten Schutz des Bestandes des Mietverhältnisses gegenübersteht. Das war vom Gesetzgeber ursprünglich mal anders gedacht. Das Bürgerlichen Gesetzbuch sieht nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten des Vermieters vor, den vertragstreuen Mieter loszuwerden. Auch der sich vertragswidrig verhaltende Mieter hatte ursprünglich einen recht guten Schutz. Die aktuelle tatsächliche Entwicklung zeigt, dass sich das gravierend geändert hat. Dazu zwei Beispiele aus den oben beschriebenen Bereichen:
Hauptkündigungsmöglichkeit des vertragstreuen Mieters ist die Eigenbedarfskündigung. Diese Kündigungen haben stark zugenommen. Die Möglichkeiten des Mieters solche Kündigungen abzuwehren sind schlecht. Im Zweifel geht das Grundrecht am Eigentum des Vermieters den Mieterrechten vor. So ist es überhaupt kein Problem und gesetzlich nicht sanktioniert, wenn ein Vermieter gezielt eine vermietete Wohnung kauft, um sie nach Eigenbedarfskündigung des Mieters selbst zu nutzen. Hierbei kann der Käufer der Wohnung auf einen kräftigen Preisabschlag spekulieren, da aus den umschriebenen Gründen vermietete Wohnungen am Markt billiger sind, als unvermietete.
Hauptkündigungsmöglichkeit des sich vertragswidrig verhalten Mieters ist die Kündigung im Zusammenhang mit Zahlungsverzug. Hierbei hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Schutzinstrumente (zum Beispiel Unwirksamkeit werden der Kündigung nach vollständiger Zahlung Ausgleich innerhalb einer bestimmten Frist) nicht greifen, da der Bundesgerichtshof vertritt, dass solche Zahlungsausgleiche in der Regel nur die fristlose Kündigung beseitigen. Der Mieter fliegt dann drei Monate später auf die Straße. Das rettet keine Mietverhältnisse. Noch schlechtere Möglichkeiten, das Mietverhältnis zu retten, hatte der Mieter der die Miete verspätet zahlt. Nach vorheriger Abmahnung ist bei erneuter Verspätung die ordentliche Kündigung ebenfalls in der Regel wirksam.
Fazit: Nur der Gesetzgeber kann an der derzeitigen Situation etwas ändern
Derzeit befeuert die gesetzliche Lage die Zunahme der erfolgreich durchgesetzten Kündigungen von Mietverhältnissen. Daran kann nur der Gesetzgeber etwas ändern. Von der Rechtsprechung ist keine Hilfe zu erwarten, da Bundesgerichtshof und Verfassungsgerichte die oben beschriebene eindeutige vermieterfreundliche Tendenz verfolgen. Ich halte es für keinesfalls zwingend, dass eine Änderung der Gesetzeslage erfolgen muss. Man muss dann allerdings auch klar sagen und vertreten, dass die Abnahme von Mietverhältnissen in den Ballungszentren zu Gunsten von selbstgenutzten Eigentumswohnungen und die mit den oben beschriebenen Effekten einhergehende starke Verteuerung von Mietwohnungen in solchen Gebieten gewünscht oder zumindest akzeptabel ist.
27.4.2015
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